Tansanias Politik im Wandel

Tansanias Präsidentin Samia Suluhu Hassan ist seit inzwischen etwas mehr als drei Jahren im Amt und hat seitdem weitreichende Veränderungen bewirkt. Als erste Frau an der Spitze Tansanias strebt sie Reformen in allen Sektoren an, die das Land wirtschaftlich und sozial voranbringen sollen. Nach der Aufhebung des Demonstrationsverbots fand vergangenen Januar die größte Demonstration seit der Unabhängigkeit statt; große Infrastrukturprojekte sind in der Planung und Umsetzung; obwohl sich die Wirtschaft nach Corona schnell erholt hat sind Güter des täglichen Bedarfs teilweise deutlich teurer geworden und im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an. Mehr als genug Gründe, sich einmal genauer mit der Politik in Tansania auseinander zu setzen.

Plakat Samia Suluhu Hassan Plakat Samia Suluhu Hassan Werbeplakat für Tansanias Präsidentin Samia Suluhu Hassan (Mitte in Weiß-Blau gekleidet) in Dodoma. Aufschrift: „2.649 Dörfer haben von neuen Wasser Projekten profitiert. – Drei Jahre Präsidentschaft. – Mama [Samia] erfüllt [ihre Ziele].“ [Foto von Sarina Haushofer, Foto von Sarina Haushofer]

Wie war das nochmal mit der Politik in Tansania?

Laut dem BBC gilt Tansania als einer „der sichersten und politisch stabilsten Staaten des Kontinents [Afrika]“ [1]. In Tansania gab es seit der Unabhängigkeit 1961 weder Bürgerkriege, religiöse Kriege noch (militärische) Putschs. Die Bevölkerung der präsidentiellen Republik wählt alle fünf Jahre das Staatoberhaupt sowie die Nationalversammlung. Das Inselarchipel Sansibar ist teilautonom. Das heißt, es untersteht in manchen Bereichen der Tansanischen Regierung, in anderen entscheidet das Sansibarische Parlament eigenständig.

Noch unter britischer Kolonialherrschaft gründete Julius Nyerere, der spätere erste Präsident Tansanias, die TANU (Tanganyika African National Union). Er führte Tanganyika, das heutige Festland Tansanias, mit seiner Partei TANU 1961 zur Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Bis heute wird Nyerere als „Baba wa taifa“ (Vater der Nation) stark verehrt und in vielen Büros, Läden und Restaurants hängt ein Bild von ihm. Nach der Vereinigung Tanganyikas mit Sansibar 1964 fusionierte die TANU mit der größten Partei Sansibars zur heutigen Regierungspartei Tansanias der Chama cha Mapinduzi (Partei der Revolution), kurz CCM [1]. Tansania war daraufhin zunächst eine Ein-Parteien-Demokratie, bis 1992 eine Verfassungsänderung verabschiedet wurde, mit der neben der CCM auch andere Parteien erlaubt wurden. Die größte Oppositionspartei ist seitdem die Chadema (Chama cha Demokrasia na Maendeleo – Partei der Demokratie und der Entwicklung) mit aktuell etwa fünf Prozent der Parlamentssitze. Abgesehen davon sind nur drei weitere Kleinstparteien mit gemeinsam acht von knapp 400 Sitzen im Parlament vertreten. Die amtierende Präsidentin Tansanias ist Samia Suluhu Hassan, als erste Frau in diesem Amt, und Premierminister ist Kassim Majaliwa. Die Präsidentin hat ihr Amt im Jahr 2021 angetreten, nachdem sie zuvor Vizepräsidentin unter John Magufuli war. Magufuli verstarb überraschend nur wenige Monate nach seiner Wiederwahl, woraufhin sie die Präsidentschaft übernahm. Magufuli regierte für eine Amtszeit (5 Jahre) und vier Monate. Alle drei sind bzw. waren Mitglieder der Chama cha Mapinduzi.

Die britische Zeitschrift „The Economist“ [2] gibt jährlich eine Einschätzung zur Lage der Demokratie weltweit, indem sie 165 Länder auf einer Skala von 0 (autoritäres Regime) bis 10 (volle Demokratie) einordnet. Im vergangenen Jahr wurde Tansania in diesem Bericht erstmals seit 10 Jahren eine positive Entwicklung zugeschrieben: von 5.1 Punkten 2022 auf 5.35 Punkte 2023. Damit ist Tansania in Ostafrika unter den führenden Nationen und weltweit über dem Durchschnitt. Auffallend ist außerdem, dass das Land im vergangenen Jahr nach Benin den weltweit größten Fortschritt in Sachen Demokratie verzeichnen konnte. Die internationale NGO Freedom House [3] bezeichnet Tansania hinsichtlich politischer Rechte und ziviler Freiheiten als einen „teilweise freien Staat“. Hinsichtlich Pluralismus, politischer Partizipation, der Funktionsweise der Regierung und der Judikative schneidet Tansania in deren Bewertung eher schlecht ab. Positiv fällt hingegen die Religionsfreiheit auf. In Tansania lebt eine christliche Mehrheit friedlich mit Muslimen und anderen kleineren Religionen gemeinsam. Eine Lebensweise, die wir als Freiwillige häufig wahrnehmen und wertschätzen. Unterschiedliche Religionen sind im Alltag präsent, jedoch kein Grund für Streitigkeiten.

Neue Präsidentin – Neue Politik

Zurück zum Politischen Geschehen: Präsident Magufuli setzte auf eine repressive Politik gegenüber politischen Gegner_innen. Während Magufulis Amtszeit wurden politische Kundgebungen von Oppositionsparteien verboten, die Medienlandschaft sowie die Möglichkeiten von NGOs wurden weitläufig eingeschränkt [4] und es kam sogar zu Attentaten auf Oppositionelle. Das größte Attentat richtete sich gegen den prominenten Politiker der Chadema und Magufulis Herausforderer in der Präsidentschaftswahl 2020: Tundu Lissu. Bis heute ist nicht endgültig geklärt, ob das Attentat sich auf Magufuli zurückführen lässt [5]. Lissu wurde 2017 in Dodoma mehrfach angeschossen und anschließend in Nairobi und Belgien behandelt [6]. Die jetzige Präsidentin hingegen traf sich vor zwei Jahren während einer Reise nach Europa mit Tundu Lissu in Belgien [7], worauf hin dieser im vergangenen Jahr aus dem Exil zurück nach Tansania kehrte [8].

Eine der bekanntesten und weitreichendsten Gesetzesänderungen in Samia Suluhus bisheriger Amtszeit ist die Aufhebung des Demonstrationsverbots für Oppositionsgruppen, welches Magufuli 2016 verabschiedet hatte. Daraufhin fand am 24. Januar 2024 die erste große Demonstration der Oppositionspartei Chadema in Dar es Salaam statt. Sie wurde von der Polizei begleitet und verlief friedlich. Vor wenigen Jahren noch wäre dies undenkbar gewesen [9]. Die Hauptforderung der Opposition ist eine Verfassungsreform noch vor den Wahlen im kommenden Jahr, um freie und unabhängige Wahlen zu ermöglichen. Die Verfassung stammt aus der Zeit kurz nach der Unabhängigkeit, als Tansania noch eine Ein-Parteien-Demokratie war. Das Mehrparteiensystem wurde 1992 lediglich durch eine Verfassungsänderung – keine echte Verfassungsreform – eingeführt. Dadurch ist dem_der Präsident_in eine große Macht zugeschrieben, die einen echten Pluralismus und dezentrale Machtverteilung erschwert [10].

Journalist_innen konnten in Samia Suluhus Amtszeit bezüglich der Pressefreiheit positive Entwicklungen erkennen: Die Regierung hat mehrere Verbote von Medienunternehmen aus Magufulis Amtszeit aufgehoben sowie Lizenzen für Zeitungen wiederhergestellt [3]. Viele Mediahäuser gehören aber weiterhin Politiker_innen oder werden von ihnen beeinflusst. Selbst private Medienhäuser bekommen 40 bis 80% ihrer Einnahmen über Staatswerbung [11]. Und auch Musiker_innen, die die Regierung in ihrer Musik kritisieren sind nicht vor Strafen und Zensur geschützt. Samia Suluhus Schritte signalisieren einen Wandel hin zu mehr Pressefreiheit, trotzdem wird es noch dauern, bis diese Reformen weitreichend genug sind, um ein sicheres Umfeld für journalistische Freiheit zu schaffen [12].

In der Außenpolitik hat sich seit dem Machtwechsel ebenfalls einiges verändert. Magufuli war der Ansicht, Tansania sei reich in Ressourcen und andere Länder – egal ob westlich oder afrikanisch - würden diese nur begehren [13] und daher verfolgte er eine recht nationalistische Außenpolitik [14]. Er war in seinen 6 Jahren als Präsident nur vier Mal auf ausländischen Staatsbesuchen, wobei diese lediglich in der Region Ostafrika stattfanden [15]. Samia Suluhu hingegen war 2022 bereits in den USA und Europa auf Staatsbesuch und setzt wirtschaftlich nicht nur auf regionalen Handel und Wachstums des privaten Sektors, sondern auch auf aktives Anwerben ausländischer Investor_innen. Um letztere zu erreichen hat sie bereits 2022 ein neues Investitionsgesetz verabschiedet, welches für eine bessere Planbarkeit für Investor_innen in allen Bereichen sorgen soll [16].

Der Strategiewechsel in der Außenpolitik durch Präsidentin Samia Suluhu zeigt erste Veränderungen durch immer mehr ausländische Investitionen, vor allem aus China. Viele neue Infrastrukturprojekte sind in Planung oder sollen in den kommenden Monaten und Jahren vollendet werden. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: das Megahafenprojekt in Bagamoyo mit anschließender Ansiedlung weiterer Industrien, der Nyerere-Staudamm, ein riesiges Wasserkraftprojekt zur stabilen Stromversorgung sowie viele neue elektrische Personenzuglinien auf dem Festland. Es sollte jedoch auch erwähnt werden, dass Präsident Magufuli während seiner Amtszeit das Hafenprojekt in Bagamoyo aufgrund als "unvorteilhaft" für Tansania eingestufter Bedingungen angehalten hatte [17] und es generell viel Kritik an gerade Chinas Investitionen in Ostafrika und Tansania gibt [18, 19].

Samia Suluhu schlägt politisch eine neue Richtung ein: Ihre zentralen Ziele sind die 4R: „Reconciliation, Resiliency, Reforms, and Rebuilding“ also „Versöhnung, Widerstandsfähigkeit, Reformen und Wiederaufbau“ [20]. Dr. Paul Loisulie, Professor an der Universität von Dar es Salaam sagt, das Einzige, was Samia Suluhu nun ausbauen müsse, seien die Fähigkeiten von CCM-Führungskräften mit Kritik und Gegenargumenten in der Politik umgehen zu können. Sobald diese sich daran gewöhnt haben, werden die neuen Verfassungsrechtsreformen und eine unabhängige Wahlkommission leicht in Tansania implementiert werden können, so Loisulie [21].

Trotzdem gibt es natürlich Kritik an der bisherigen Politik der Präsidentin: Die Stellvertretende Generalsekretärin der CUF, einer der Kleinstparteien Tansanias, Magdalena Sakaya, lobt zwar das Versprechen Samia Suluhus, freie und faire Wahlen im kommenden Jahr zu ermöglichen, kritisiert jedoch, dass noch keine Unternehmungen getätigt wurden, um eine Verfassungsänderung in diese Richtung voranzutreiben. Außerdem sollten, laut Sakaya, Gesetzesänderungen für mehr Pressefreiheit geschaffen werden, um die Demokratisierung des Landes zu ermöglichen [21]. Kritik aus der Bevölkerung haben wir bisher hauptsächlich zu zwei Punkten mitbekommen: Korruption und Preisanstieg bei Gütern des täglichen Bedarfs, allem voran Zucker. Zucker ist deutlich teurer geworden, dass konnten wir miterleben. Trotz der vielen weiteren Veränderungen durch Samias Politik ist dies etwas, das die Leute direkt betrifft und wie wir es erleben führt dies bei einigen zu generellem Unmut gegenüber Samias Politik. Die Korruptionsvorwürfe hingegen sind für uns kaum überprüfbar und einiges klingt nicht gerade wahrscheinlich, trotzdem halten wir es für gut möglich, dass Teile sehr wohl der Wahrheit entsprechen. Und auch die liberale Wirtschaftspolitik hat natürlich eine Kehrseite: gerade auf Sansibar werden viele Grundstücke an ausländische Investor_innen verkauft und die großen Infrastrukturprojekte sind zum Großteil aus dem Ausland finanziert. Das erhöht selbstverständlich Tansanias Abhängigkeit von diesen Investor_innen. Wenn diese sowie die politischen Eliten das Wohl der gesamten Bevölkerung im Blick haben kann die Liberalisierung allen zugutekommen; wenn nicht trägt sie womöglich nur zu größerer Ungerechtigkeit bei.

Unser Fazit

Drei Jahre nach der Amtsübernahme von Samia Suluhu Hassan lässt sich ein deutlicher Richtungswechsel in der tansanischen Politik erkennen. Einige Versprechen hat die erste Frau an der Spitze Tansanias bereits umgesetzt oder begonnen umzusetzen, und bei anderen Maßnahmen bleibt abzuwarten, ob sie verwirklicht werden. Angesichts der über 60 Jahre anhaltenden Regierung einer einzigen Partei hat sich in den vergangenen drei Jahren allerdings schon einiges getan auf dem Weg der Transformation hin zu einer lebendigeren Demokratie. Sowohl in den Führungsreihen als auch in der Gesellschaft ist der Wunsch nach Stabilität durch eine starke Präsidentin mit einer führenden Partei in ihrem Rücken tief verankert. Unsere individuelle Erfahrung ist, dass in Tansania gesellschaftliche Debatten über Politik weniger üblich sind als in Deutschland. Politik scheint, für uns, hier mehr eine Sache der Mächtigen, weniger etwas worauf man als Individuum Einfluss nehmen kann. Wenn es der Opposition jedoch weiter erlaubt wird und gelingt sich im ganzen Land besser zu organisieren, Debatten anzustoßen und wirkliche Oppositionsarbeit zu leisten wird dies vielleicht die Politik und Gesellschaft Tansanias in den nächsten Jahren stark verändern können. Wie diese Veränderungen aussehen könnten und welche positiven und negativen Neuerungen sie mit sich bringen kann noch niemand abschätzen. Wir blicken also gemeinsam mit vielen anderen gespannt auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr.


Quellen

[1] BBC https://www.bbc.com/news/world-africa-14095776

[2] The Economist https://pages.eiu.com/rs/753-RIQ-438/images/Democracy-Index-2023-Final-report.pdf?version=0&mkt_tok=NzUzLVJJUS00MzgAAAGRS49vT4yF7EH7ESNWU8X2Vp5qNP3uNqy4NlWFmPVrWB28zphldzLscpQB1zQ5fPCFxUSnyxkwYUcvtPx6wIitP2cqh7LY3Hv5btHLrGx6F9VRNA

[3] Freedom House https://freedomhouse.org/country/tanzania/freedom-world/2024

[4] Amnesty International https://www.amnesty.org/en/latest/press-release/2020/10/tanzania-laws-weaponized-to-undermine-political-and-civil-freedoms-ahead-of-elections/

[5] CSIS https://www.csis.org/analysis/one-year-tanzanian-president-hassan-whats-changed

[6] The Citizen https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/news/national/president-samia-two-years-of-shaping-tanzania-political-space-4151964

[7] The Citizen https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/news/national/samia-holds-face-to-face-talks-with-opposition-leader-tundu-lissu-in-brussels-3719462

[8] The Citizen https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/news/national/chadema-s-lissu-returns-from-exile-to-a-rousing-welcome-4099126

[9] The Citizen https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/oped/why-chadema-demo-shows-that-tanzania-has-turned-the-corner-4509264

[10] The Conversation https://theconversation.com/tanzania-is-ruled-with-impunity-four-key-issues-behind-calls-for-constitutional-reform-199832

[11] Reporters without Borders https://rsf.org/en/country/tanzania#

[12] Panafrican Visions https://panafricanvisions.com/2024/03/mara-press-club-tanzanias-press-freedom-challenges-progress-and-continuing-struggles/

[13] The Citizen https://thecitizen.co.tz/tanzania/news/national/-how-magufuli-altered-tanzania-s-foreign-policy-3337184

[14] The Citizen https://thecitizen.co.tz/tanzania/news/national/-how-magufuli-altered-tanzania-s-foreign-policy-3337184

[15] Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_international_presidential_trips_made_by_John_Magufuli

[16] Council on foreign Relations https://www.cfr.org/blog/stronger-us-tanzania-relationship-would-be-mutually-beneficial

[17] Konrad Adenauer Stiftung https://www.kas.de/en/web/tansania/single-title/-/content/china-and-tanzania-in-the-new-era-a-complicated-relationship

[18] Deutsche Welle https://www.dw.com/de/decoding-china-peking-will-mehr-einfluss-in-afrika/a-68027752

[19] Council on foreign Relations https://www.cfr.org/backgrounder/china-africa

[20] Inside the Nation https://insidethenation.com/the-4rs-of-tanzania-president-samia/

[21] The Citizen https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/magazines/political-reforms/samia-why-i-chose-a-participatory-approach-signified-by-4r-s-initiative-4554964